Tagebuchwetter
Buähhh! Was'n Dreckwetter! Da geh ich nicht vor die Tür, nie und nimmer!
Es ist Wetter zum Drinbleiben. Im Fernseher kommt nichts, also: Tagebuchwetter. Etwa so:
«Liebes Tagebuch, obwohl wir uns nicht näher bekannt sind, duze ich dich und hoffe, dir ist das recht so. Es ist Sonntag, der vierzehnte Februar zweitausendundsechzehn.
Vor einer Stunde hat mich meine Frau verlassen. Ist nicht schlimm, sie kommt wieder. Bestimmt. Ist ja nur ins Museum gegangen. Das Wetter draussen ist schrecklich und erinnert mich an die Tage, früher, als ich in der oberen Stube meines Elternhauses war, der kleine grün gekachelte Schwedenofen vor mir stand, der heiss und mit geöffnetem Türchen durch das Feuer darin Hitze in den Raum wallte, meine Füsse wärmte.
Diese waren, gegen die Kälte und Ofenhitze mit dicken Wollsocken eingepackt, an den oberen, nicht ganz so heissen Rand des kleinen Ofens gelehnt. Auf den Knien hatte ich ein Buch von Stanislav Lem, meinem Lieblingsautor.
Durch das ganze Haus pfiff der Wind. Ich war es gewohnt. Fenster, die nicht dicht, Wände, die nicht isoliert und Türen, die nicht zu verschliessen waren. Der Wind blies durch das ganze Haus von hinten nach vorne und von vorne nach hinten, je nachdem, aus welcher Richtung der Wind blies. Bei Sturm wirbelte die Luft den Staub von hundertfünfzig Jahren und mehr auf, dass man das Gefühl hatte, dass es schneite. Am nächsten Morgen lag auf allem eine Schicht Staub, die, zumindest in meiner Erinnerung, alles mit einer fingerdicken grauen Schicht bedeckte. Nicht umsonst hiess diese alte Hütte «Bläsihus».
Der verdammte Tee trieb mich schon wieder auf die Toilette. Ach, was lüg ich, Toilette! Aufs Scheisshaus trieb er mich. Zum Donnerbalken! Also Hausschuhe anziehen, den Wollschal um den Hals und die Mütze auf. Die steile, knarrende Holztreppe führte direkt zum Hauseingang, durch den der Wind bis in die Mitte des Flurs eine Schicht Schnee geblasen hatte.
Durch die Haustüre nach draussen, nach links und sieben Schritte bis zum Scheisshaus. Das Holzriegelchen, das die Türe des Häuschens verschloss, war etwas angefroren vom eisigen Schnee. Drinnen war es dunkel, stank aber wegen der Kälte nicht ganz so arg wie an anderen Tagen. Die mit Seiten aus Heftchen notdürftig isolierte Seitenwand hielt den Wind nur mässig ab und die Kälte gar nicht. Es war bitterkalt. Kein Wohlfühlort und auch kein Ort, um die Zeitung zu lesen, obwohl es davon gewiss genug vorrätig hatte.
Ich beeilte mich und rannte zitternd wieder ins Haus und an den Ofen zu meinem Stanislav Lem, seinen Sterntagebüchern und Ijon Tichy.
Daran erinnere ich mich also, liebes Tagebuch, und auch daran, dass ich mich nie wieder daran erinnern wollte.»
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