Selma invisibel

Hundenapf für Selma

 

Selma invisible

 

Im Bahnhof Luzern, zwischen all den hetzenden, strauchelnden und Koffer schleppenden Menschen und in all dem Gestank aus Bratwurst, verschwitzten Hemden und Blusen, Abschiedstränen und Geleisemief fragt mich ein Mann, ob ich seinen Hund nehmen würde. Ich kenne ihn, nicht sehr gut, aber gut genug, um zu merken, dass er es offenbar ernst meint. Er sei in Not und müsse weg, der Hund aber könne nicht mit. Eine seltsame Geschichte, aber ich sage Ja. Der Hund scheint nett zu sein und lächelt mich an. Ich lächle zurück und übernehme die Hundeleine. „Na dann los, Selma.“

 

Später. Aus der Küche ist das laute und offensichtlich sehr nasse Schlabbergeräusch der saufenden Selma zu hören. Sie dreht den Kopf, als ich reinkomme. Ein Schütteln der  Leine in meiner Hand reicht, und wedelnd kommt die Deutsche Kurzhaar-Hündin auf mich zu gerannt. Ihr Hintern wackelt so stark, dass mich fast die Angst befällt, sie  könnte umfallen. „Uuuuuh“, heult sie. Ich lache. „Komm!“

 

Wir laufen am See entlang und jagen Ahornsamen, die im Wind torkeln. Als wir beim Parkplatz ankommen, beide nass vom taufeuchten Gras, warten vier Herren neben meinem Auto. Ein Sanitätsfahrzeug steht hinter ihnen. Ihr Blick verrät uns, dass etwas nicht stimmt. Selma bellt und knurrt. „Still, Selma“, sage ich und zu den vier Sanitätern: „Was ist los?“ „Herr Meyer?“, fragt der eine, mit ausgestrecktem linkem Arm langsam auf mich zukommend, als möchte er ein entlaufenes scheues Kätzchen einfangen. Es fehlt nur noch das „Komm, buss buss buss“ und das Leckerli in der Hand.

„Selma, die tun nichts, warte“, sage ich zu Selma und „Ja, Meyer“ zu dem Typen. „Darf ich Sie fragen, mit wem Sie da reden und was Sie mit der Leine wollen?“, fragt mich der eine und zeigt Richtung Selma. Ich verstehe diese Frage nicht. „Ich verstehe Ihre Frage nicht.“ „Wer ist Selma, Herr Meyer?“ „Der Hund, wer sonst!“ Es reicht mir. Dieser dumme Kerl, was will der? „Welcher Hund denn, Herr Meyer?“

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen und schüttle den Kopf, schaue zu Selma und Selma schaut zu mir. Wir verstehen nichts und doch alles, machen rechtsumkehrt und dass wir davonkommen. Wir rennen, bis die Luft in den Lungen brennt und das Blut uns in den Köpfen kocht.

 

Das kleine, etwa vier mal drei Meter grosse Zimmer hat Aussicht Richtung Berge.

Ich kann den Pilatus sehen und weiter rechts das Stanserhorn. Neben mir, auf den Hinterbeinen stehend und sich wie ich an der Fensterbank abstützend und zum vergitterten Fenster hinausschauend, steht Selma.

Ich kraule sie hinter den langen Ohren. „Was hältst du davon, Hund?“, frage ich.

„Schöne Aussicht“, sagt Selma ...