Kitsch oder nicht Kitsch
Als ich letzte Woche an einem Waldbach diesen kleinen Wasserfall an einer Bachstufe sah, vor dem dieser ausgeschliffene altarähnliche Stein durch das Blätterwerk in gelbgrünes Licht getaucht wurde, war klar, dass ich das fotografiere. Weshalb nicht. Es hatte ein fast mystisches Licht, das ich festhalten wollte.
Gestern meinte dann jemand "was für ein Kitsch". Wirklich? Kitsch? Ich denke nicht, dass das Kitsch ist. Ich habe nicht Stunden gewartet, bis ich dieses Licht hatte, auch werde ich das Foto nicht auf Tapete drucken lassen und mir ins Schlafzimmer an die Wand kleben. Ich habe die Natur fotografiert, wie ich sie immer fotografiere. So wie ich sie antreffe. Wenn es schöne Orte gibt, an denen ich zufällig vorbeikomme, fotografiere ich sie. Wenn ich an interessanten Orten vorbeikomme, fotografiere ich sie, und wenn ich an ganz besonders scheusslichen Orten vorbeikomme, dann fotografiere ich sie ebenso wie ich das Normale fotografiere.
Kitsch ist eine kulturspezifische Definition. Was der eine als Kitsch empfindet, ist für einen anderen ganz normal. Die mit tausend LEDs verzierten Hindugötter, die sich manche, nichts denkend, als eine Art PopArt ins Wohnzimmer stellen, weil es für sie fast skurril anmutet, ist für den Tamilen oder Inder ganz normal, denn er will nichts lieber als seine Gottheit so hübsch dekorieren, wie es seine finanziellen MIttel und die gesellschaftliche Norm ermöglicht.
Eine Sonnenuntergang-Foto ist Kitsch? Auch für den Haitianer, der aus welchen Gründen auch immer gezwungen ist, in der Schweiz zu leben?
Eine lichtdurchflutete Landschaft ist Kitsch? Auch für den, der gerade zwölf Jahre im Knast absitzt?
Also was ist Kitsch? Bei Wikipedia steht unter Anderem: "Kitsch steht zumeist abwertend gemeinsprachlich für einen aus Sicht des Betrachters minderwertigen, sehnsuchtartigen Gefühlsausdruck. In Gegensatz gebracht zu einer künstlerischen Bemühung um das Wahre oder das Schöne, werten Kritiker einen zu einfachen Weg, Gefühle auszudrücken, als sentimental, trivial oder kitschig."
Also war das Fotografieren dieses Baches ein zu einfacher Weg Gefühle hervorzurufen?
Natürlich war es das. Na und? Sollen wir jetzt alle Philosophie und Kunstgeschichte studieren und uns Gefühlen nur noch auf intellektuelle Art nähern dürfen. Ist der kleine Sketsch böse nur weil er die "Massen" zum Lachen bringt? Die Fotografie Mist und Kitsch, nur weil Leute "uh ist das schön" sagen?
Also seien wir ehrlich. Wer sich durch einen schönen Sonnenuntergang nicht beeindruckt fühlt, ist seelisch abgestumpft oder ein Vulkanier.
Aber ja, da fällt mir ein, dass die ganz Intellektuellen ja einen Weg gefunden haben, sich Schönheit doch noch zu Gemüte führen zu können. Man verschwarzweisst (ist das Wort schon erfunden? Wenn nicht, lasse ich es mir patentieren) das Sujet einfach, und schon darf man es sich schön gerahmt und hinter Glas ins Schlafzimmer hängen.
Alles klar Herr Kommissar?
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