An der Reling

An der Reling

 

Meine kalten Finger klammerten sich um die vergoldete Reling des Luxusliners, auf dem ich diente, und mein Gesicht trotzte der eiskalten Gischt, die der Westwind über das Mittelmeer fegte.

 

Drinnen lachten und zechten sie. Assen irische Langusten und schlürften das glibberige lebende Fleisch frischer baskischer Austern. Dazu Champagner und Weisswein, vom Sommelier kredenzt und ins Glas getropft, als wäre es das Blut ihres heiligen Jesus Christus.

 

Alle sassen sie da drinnen in der Wärme und  im Trockenen. Die Ungarn und Engländer und Österreicher und Polen – kurz: die ganze europäische Bagage hockte zusammen und liess es sich gut gehen. Und sie waren nicht alleine da. Im grossen Casino zockten die Amerikaner mit den Russen und den ganzen Arabern (die Iraner nicht vergessen) und Chinesen.

 

Ich drehte mich angewidert ab und sah wieder auf die See hinaus. Da draussen, wo die Toten in ihren roten Rettungswesten auf den Wellen auf und ab hüpften wie in einem makabren Tanz. Ich gab dem Zweiten nautischen Offizier Meldung, dass ich wieder welche gesehen hätte. Der konnte dann die Koordinaten an die Italiener weitergeben. Die durften das «Totgut» dann auffischen. Hauptsache, die da drinnen sahen keine Leichen. Das könnte ihnen den Appetit verderben.

 

«Schchichtcchhhchchwechselchhch» rauschte es aus dem Funkgerät. Ich machte mich auf den Weg auf die Brücke, um fertig Meldung zu machen und die Ablösung abzuwarten. Danach ab in die Messe, um noch was Warmes zu bekommen.

Verdammt frisch heute.

 

 

 

 

 

Foto: Wäscheständer, Blaues Frottee-Tuch. Serie: Bewegt

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